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Romanisches Seminar AVL

Sprachdenken in der Literatur

Prof. Dr. Marco Baschera

Seminar / Aufbauseminar

Sprachen bestehen nicht aus Begriffen, sondern aus Wörtern und Sätzen, durch die wir mit der Welt und uns selbst in Kontakt treten. Im Unterschied zum begrifflichen Denken vollzieht sich Sprechen, und vor allem das literarische Reden, mit Hilfe von sinnlich wahrnehmbaren Formen wie Klang, Reim, Rhythmus, Vers, aber auch von Figuren, wie z.B. der Metapher, die in der Differenz von eigentlichem und uneigentlichem Sinn uns scheinbar bekannte Dinge in ein anderes, fremdes Licht rückt. Bei den Metaphern stellt sich zudem das Problem ihrer Übersetzbarkeit in andere Sprachen. Was heisst es, wenn literarische Formen oder Figuren nicht übersetzbar sind? Worin besteht dann die Beziehung zwischen dem scheinbar gleich bleibenden begrifflichen Denken und seinem mehrsprachigen, verschiedenen, sprachlichen Ausdruck?

Literatur zeigt, dass Sprachen nicht einfach im Dienste der Vernunft und der Kommunikation stehen. In ihr entziehen sich die Sprachen dem Anspruch des Denkens, seinen sprachlichen Ausdruck jeweils über den Begriff zu kontrollieren. Dadurch vermag sich in ihnen ein unvordenklich Sprachliches zeigen, das bei jedem Reden am Werk ist. Zudem kennt das literarische Reden keinen Satz vom Widerspruch. Seine Sätze unterliegen nicht den Kriterien der Eindeutigkeit, denn Mehrdeutigkeit und Polyphonie sind ihm eigen. Ein literarischer Text kann über seine eigene Entstehung reflektieren. Dadurch bleibt er in seinem Vollzug offen und prozessual.

Trotzdem ist es möglich, dass sich auch in literarischen Texten eine eigene Art von Erkenntnis und Denken zeigt. Wie steht es mit literarischen Formen, die in vielen verschiedenen Sprachen dieselben bleiben, wie z.B. das Sonett? Dadurch stellt sich die grundlegende Frage nach einem literarischen Sprachdenken, das unter anderem der Tatsache, dass es nicht eine, sondern eine Vielzahl von Sprachen gibt, gerecht zu werden versucht. Diese Frage ist vom Ansatz her komparatistisch und kann wohl nur in der Reflexion auf die innere Mehrsprachigkeit aller Literaturen gestellt werden.

Zur Vorbereitung und als Begleitlektüre empfohlen:

  • Jürgen Trabant:„Mithridates im Paradies. Kleine Geschichte des Sprachdenkens“, C.H. Beck, München 2003.
  • Hans Jost Frey: „Die Autorität der Sprache“, Edition Howeg/edition per procura, Lana-Wien-Zürich, 1999.

Behandelte Texte:

  • John Locke, Book III „Of words“, in „Essay concerning human understanding“
  • G.W.Leibniz, Livre III „Des mots“, in “Nouveaux essais sur l’entendement humain”
  • Herder, „Abhandlung über den Ursprung der Sprache“
  • Maurice Blanchot, „La parole plurielle“ in „L’entretien infini“
  • Martin Heidegger, „Die Sprache“ und „Die Sprache im Gedicht“ in „Unterwegs zur Sprache“
  • La Fontaine, „Les fables“
  • Denis Diderot, „Lettre sur les sourds et muets“
  • Heinrich Kleist, „Über das allmähliche Verfertigen der Gedanken beim Reden“
  • E.A. Poe, „The poetic principle“ und “The purloined letter“
  • Paul Valéry, „Monsieur Teste“

Wann: Fr 14:00-15:45 / Beginn: 21.09.2007
WoPLG-2-211 am 19.10. ausnahmsweise PLG-1-111 (selbes Zimmer, ein Stock tiefer)

Liz-Studium: Seminar
Informationen für Studierende im Bachelor-Studiengang:

Module 320 Aufbauseminar AVL-VS II
(9 KP, NF 60/NF 30/NF 45, P, benotet)
Teilfach/ Gebiet Vergleichende Literaturwissenschaft (Komparatistik)/ Vergleichende Textanalyse und Literaturtheorie
Teilfach/ Gebiet  Allgemeine Literaturwissenschaft /
Rhetorik, Poetik, Ästhetik; Textanalytische und methodologische Fragen der Literatur
Leistungs-
überprüfung (KP)
Referat (RE) und kleine schriftliche Arbeit (SA): 9 KP

Weiterführende Informationen

Bitte lesen bis Veranstaltungsbeginn 28.9.:

1) von Emile Benveniste, „Catégories de pensée et catégories de langue », in Problèmes de linguistique générale, Gallimard, 1966, t. 1, pp. 63-74.
2) von H.-J. Frey „Autorität der Sprache“ und „Wortspiel und Sprachwirklichkeit“, in Die Autorität der Sprache, Ed. Howeg, 1999, S. 9-23; 47-63.
Bis zum 5. Okt. zudem:
3) J. Trabant, Mithridates im Paradies, C.H. Beck, München, 2003.

Zur Erläuterung der Abkürzungen: