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Romanisches Seminar AVL

Person und Monade als Figuren des literarischen Textes

Marco Baschera, Charles de Roche

Kolloquium

Was ist ein Text; und was macht einen Text gegebenenfalls zum „literarischen“? Wird die erste Frage eher als in der Literaturwissenschaft in Spezialdisziplinen wie Stilistik und Textlinguistik diskutiert, so geht in die zweite in ihrer Spezifik heute meist in übergreifenden Fragestellungen der allgemeinen Ästhetik und der Kulturwissenschaften unter. Dieser Sachverhalt betrifft aber das Selbstverständnis der Literaturwissenschaft in ihrem Zentrum, bildet der Gegenstand „literarischer Text“ doch nach wie vor den Kernbereich des Materials, auf das sie sich bezieht, und ein zureichendes Verständnis dieses Gegenstands daher, wie man glauben sollte, ein unabdingbares Desiderat.

Das relative Desinteresse der aktuellen Literaturwissenschaft an dieser Fragestellung erklärt sich mindestens zum Teil wohl auch durch ein grundsätzliches Unbehagen ihr gegenüber: Die Frage nach der Einheit und Identität eines Gegenstandes stammt aus der Metaphysik, und der Anspruch, metaphysische Fragestellungen überwunden zu haben, bildet so etwas wie den kleinsten gemeinsamen Nenner im epistemologischen Credo heutiger Wissenschaft. Ob aber im „literarischen Text“ nicht ein Gegenstand vorliegt, dessen Verfasstheit unabhängig von der metaphysischen Frage nach seiner Einheit gar nicht verstanden werden kann, weil er sich immer schon als – nicht theoretische, sondern praktische, nämlich auto-poietische – Antwort auf diese Frage konstituiert hat?  Träfe dies zu, so wäre nach der Literarizität des literarischen Textes als Poetizität, als der spezifischen sprachlichen Verfasstheit einer sich selbst hervorbringenden Einheit zu fragen.

Das Kolloquium möchte zwei Forschungsprojekte vor- und zur Diskussion stellen, die durch  den Vergleich des literarischen Textes mit zwei einflussreichen metaphysischen Konzeptionen Beiträge zur oben skizzierten Fragestellung zu liefern suchen. Das erste ist dem Begriff Person gewidmet, der einen begrifflichen Knoten darstellt, der seit der Antike viele Bereiche des menschlichen Denkens und Handelns durchzieht. Er verbindet unter anderem das Theater mit der Theologie und der Metaphysik, innerhalb welcher er über Jahrhunderte ermöglichte, die Probleme des Selbstbewusstseins, der Identität, der Autonomie und der Würde begrifflich abzuhandeln. Er birgt wesentlich eine Reflexion auf die Beziehung von Einheit und Vielfalt, aber auch von Autonomie und Abhängigkeit in sich, die auch und vor allem in literarischen und theatralischen Bereichen fruchtbar wurde. Was bestimmt die Einheit einer Person in einem Roman oder in einem Theaterstück? Wie gliedert sie sich ein in das Ganze eines Textes?

Das zweite Projekt stellt die Frage nach der Einheit des literarischen Textes vor dem Hintergrund der metaphysischen Konzeption von Gottfried Wilhelm Leibniz, der „Monadologie“. Indem in ihr die Welt als Einheit der Vielheit der Erscheinungen mit einer zugrundeliegenden „einfachen Substanz“, der Monade, vorgestellt wird, ergeben sich fruchtbare Bezüge zu grundlegenden Verhältnissen des literarischen Textes wie denen von Motiv und Struktur oder Artikulierendem und Artikuliertem seiner Textualität. Den historischen und theoretischen Bezügen, die im Zentrum der beiden Projekte stehen, soll in der gemeinsamen Lektüre einer Reihe einschlägiger philosophischer, literaturtheoretischer und literarischer Texte nachgegangen werden.

Das Kolloquium richtet sich an fortgeschrittene Studierende der AVL und NDL mit Interesse an literaturtheoretischen Fragen sowie an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Doktoratsprogramms der AVL. Es eignet sich darüber hinaus auch für Studierende der Philosophie und Theologie. Um elektronische Voranmeldung bei einem der beiden Dozenten (bascheramar@bluewin.ch; derochech@bluewin.ch) bis zum Beginn des Semesters wird dringend gebeten.

Als vorbereitende Lektüre wird empfohlen:

  • Philippe Cormier : Généalogie de personne, Criterion, Paris 1994
  • Robert Spaemann: Personen, Versuche über den Unterschied zwischen « etwas » und „jemand“, Klett-Cotta, Stuttgart 1996.
  • Martin Brasser (Hrsg.): Person, Reclam, Stuttgart 1999.
  • Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie. Deutsch in: RUB oder deutsch/französisch in: Philosophische Schriften 1, Kleine Schriften zur Metaphysik, Frankfurt/Main 2000, S.439-483.


Wo: Mi, 18:15-20:00 an der Plattenstrasse, im Raum PLG-2-211statt.


Moduldaten

Module BA 412 Kolloquium AVL-VS (4 KP, NF 60; NF 30 und NF 45)
Modul MA 712 Kolloquium AVL-MS (4 KP, NF 30, P)
Module DP DO12 Kolloquium AVL - DP (4 KP)
Teilfach: Gebiet Allgemeine Literaturwissenschaft:
Textanalytische und methodologische Fragen der Literatur
Teilfach: Gebiet Vergleichende Literaturwissenschaft (Komparatistik):
Vergleichende Textanalyse und Literaturtheorie
Leistungsüber-
prüfung (KP)
4KP BA: Mitarbeit (MA) / Schriftliche Übung (SÜ)
4KP MA: Kleine Schriftliche Arbeit (SA)
Die genaueren Modalitäten der Leistungsüberprüfung werden in der ersten Sitzung bekannt gegeben

Weiterführende Informationen

Liste der Veranstaltungen:

Leibniz

Gottfried Wilhelm Leibniz

Robert Spaemann

Robert Spaemann: Personen

Philosophia Descartes

Cogito ergo sum (latlat. : „Ich denke, also bin ich“) Meditationes de prima philosophia (1641)

ReneDescart

Portrait von René Descartes