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Gegenstand des vorliegenden Projekts ist der historische und sachliche Zusammenhang zwischen der im 20. Jahrhundert in verschiedenen literaturtheoretischen Strömungen ausgebildeten Gattungstheorie der Lyrik und dem philosophischen System der Monadologie des Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716). Historisch zeigt sich dieser Zusammenhang in der intensiven Leibniz-Rezeption dreier bedeutender Individualpoetiken des 20. Jahrhunderts, jenen Walter Benjamins, Martin Heideggers und Paul Celans. Sachlich ist er für die im 20. Jahrhundert vorherrschende Gattungsbestimmung des lyrischen Textes als poetischer Struktur entscheidend, weil der Strukturbegriff die Singularität des einzelnen Textes als formale Repräsentation der Gattungsbestimmungen auffasst. Als Antwort auf die gattungstheoretische Grundfrage nach dem Verhältnis zwischen dem singulären Text und der Totalität der Gattung wiederholt damit die strukturale Poetik des 20. Jahrhunderts das historische Modell des Denkens der Monadologie, in dem die Monade als strukturale Einheit der Welt in der wechselseitigen Repräsentation von Einzelnem und Ganzem dargestellt wird.
Aus dieser doppelten Ausgangsthese ergeben sich Anlage und methodisches Vorgehen des Projekts. Zunächst wird der rezeptionsgeschichtliche Sachverhalt aufgearbeitet, indem die genannten drei Individualpoetiken einer genauen Analyse und Interpretation im Horizont ihrer Leibniz-Rezeption unterzogen werden. Neuland wird dabei insbesondere mit Bezug auf die 1999 erstmals publizierten Notizen und Fragmente Paul Celans zur Vorbereitung seiner Büchner-Preis-Rede betreten, die sich im Horizont ihrer Leibniz-Rezeption trotz ihrer fragmentarischen Gestalt als Ansatz zu einer systematischen Poetik verstehen lassen. Die theoretischen Ergebnisse dieser Arbeit sollen dann in einem weiteren Schritt dem auch heute noch vorherrschenden strukturalen Modell des poetischen Textes konfrontiert werden. Ziel ist dabei, die implizite Abhängigkeit dieses Modells vom Denken der Monadologie nachzuweisen und durch die Konfrontation mit der expliziten Leibniz-Rezeption der untersuchten Poetiken kritisch zu befragen. Damit wird die historische Perspektive zugunsten der positiven Theorie überschritten: Es soll in letzter Konsequenz danach gefragt werden, was die monadologischen Kategorien zu einer Theorie des poetischen Textes beitragen können, die der Kritik des strukturalen Modells – und der Gattungstheorie als solcher – durch Poststrukturalismus und Dekonstruktion Rechnung trägt, ohne die spezifische Phänomenalität des Lyrischen voreilig preiszugeben. Zu diesem Zweck ist neben der theoretischen auch die textanalytische Arbeit an poetischen Beispieltexten erforderlich. Die Auswahl der Beispieltexte ist noch nicht definitiv festgelegt; ein Akzent auf der Aktualität des Projekts soll jedoch auch hier gesetzt werden, indem poetische Texte und Strömungen des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts im Horizont seiner Fragestellung untersucht werden sollen.