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Aktuell: Lingue al Limite, Kolloquium vom 2.-5. Juni 2010,
Bericht über die Tagung in den UZH-News und hier als Download:
Ein Projekt des Denklabor Villa Garbald in Zusammenarbeit dem Collegium Helveticum der UZH und ETH Zürich, der Fondazione Garbald, dem Seminar für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Zürich sowie dem Centro di dialettologia e di etnografia del canton Ticino
Von Marco Baschera und Mario Frasa
Die Entwicklungen der Weltwirtschaft, der Technik sowie der Wissenschaften führen zu einem immer intensiveren Kontakt zwischen den Kulturen und Nationen und stellen diese vor Sprachen-Probleme. Wie und in welcher Sprache soll die interkulturelle Kommunikation stattfinden? Wie vermag sie einerseits universell zu sein, so dass alle an ihr teilnehmen können, und wie kann sie andererseits den Besonderheiten der einzelnen lokalen Sprachen und Kulturen gerecht werden? Das Englisch als „lingua franca" bietet sich an, schafft aber zugleich neue sprach- und kulturpolitische Probleme in historisch gewachsenen Sprachräumen, wie z.B. in Europa oder der Schweiz; aber auch im arabischen Raum und in Asien.
Die Folgen dieser globalen Entwicklung sind unter anderem die weltweite Ausbildung einer medialen Diglossie, die aus der jeweiligen Volkssprache plus Englisch besteht. Sie birgt grundsätzlich zwei Gefahren in sich: Einerseits bedeutet sie einen Prestigeverlust der nationalen Standardsprachen. Ganze Bereiche des Wissens, der Technik und der Ökonomie werden nicht mehr in ihnen thematisiert und entwickelt. Es fehlt schlechterdings das Vokabular dazu. Alte Kultursprachen wie das Deutsche, Französische und Italienische drohen zu Dialekten zu verkommen. Andererseits lässt diese Entwicklung das Englische selbst nicht unberührt. Wird es weltweit vor allem von Nicht-Muttersprachigen als tool verwendet, so erleidet es das Schicksal aller Werkzeuge: Es wird abgenützt, abgeschliffen und unaufhaltsam deformiert.
Solche Fragen stellten sich auch in den global vernetzten Wissenschaften, wo sich das Englisch immer mehr durchsetzt auf Kosten anderer Wissenschaftssprachen. Sind Sprachen nur Kommunikationsmittel? Wie steht es mit der Beziehung von Sprachen und Denken? Gibt es ein mehrsprachiges Denken und könnte dieses auch für die Wissenschaften von grossem Nutzen sein? Laufen die Wissenschaften Gefahr durch die Privilegierung einer einzigen Sprache in ihrem Denken zu verarmen? Wie steht es um die denkerische Präzision, welche die alleinige Konzentration auf das Englisch auch Anderssprachigen zu vermitteln vermag? Diese Fragen sollen in Ruhe an einem Tagungszyklus verteilt über 3-4 Jahre bedacht werden. Das „Denklabor Garbald" im Bergell ist der geeignete Ort für eine solche Reflexion.
In der oben beschriebenen aktuellen Situation stellen sich neue Fragen bezüglich des Verhältnisses von Hochsprache und Dialekt sowie bezüglich der Mehrsprachigkeit einer Region, eines ganzen Landes oder eines ganzen Kontinents. Es kann sein, dass in einer Region aus bestimmten historischen, politischen und soziokulturellen Gründen mehrere Hochsprachen, Dialekte und Soziolekte gleichzeitig gesprochen werden. Wie verstehen die Bewohner/innen einer solchen Region ihre eigene sprachliche und kulturelle Identität? Wie erleben sie ihre Situation als dialektale Minderheit?
Das Bergell kann als Modellfall und als Ausgangspunkt dienen, um diesen Fragen nachzugehen. Zwischen dem Italienischen, dem Deutschen, dem Rätoromanischen und dem Bergeller Dialekt hat sich dort eine komplexe Form von gelebter Mehrsprachigkeit ausgebildet, in welcher sich konkrete Fragen stellen zum Gebrauch dieser Sprachen im öffentlichen und privaten Leben. Von linguistischer Seite her fand 2007 bereits eine Tagung zum Thema „L’italiano nel Grigioni trilingue: quale futuro?“ im Bergell statt (siehe Publikation der Akten in: Quaderni grigionitaliani 3/2008). Ebenso kann auf folgende Publikation verwiesen werden: „Das Funktionieren der Mehrsprachigkeit in Graubünden", Basel 2008.
An der Tagung „Lingue al limite“ soll von dieser komplexen Situation im Bergell ausgegangen werden, um aber auch grundlegende Fragen aufzuwerfen zur Zukunft der Sprachen der Schweiz und Europas, die sich einerseits anschicken, immer einförmiger zu werden und die andererseits, durch das Zusammentreffen der verschiedenen Kulturen und Sprachen, auch immer komplexer werden. Wie es einem „Denklabor" gebührt, sollte Neues, bisher noch Ungedachtes, angedacht und formuliert werden können. Um diesen Prozess zu fördern, ist eine Begegnung zwischen Sprachphilosophen, Linguistinnen, Sprachpolitikern, Literaturwissenschafterinnen, Künstlern und Schriftstellerinnen vorgesehen.
Diese erste Tagung eröffnet eine Reihe von weiteren Veranstaltungen im „Denklabor Garbald“, die mehr der Kluft zwischen den Geistes- und Sozialwissenschaften sowie den Naturwissenschaften gewidmet sind. Diese Kluft soll von der grundlegenden Beziehung von Denken, Bild und Sprache her angegangen werden, die sich in den beiden Wissenschaftskulturen verschieden ausbildet.
Mittwoch, 2. Juni | Ankunft der Teilnehmenden Offizielle Eröffnung der Tagung durch Anna Giacometti |
Donnerstag, 3. Juni | Tagung (2 thematische Blöcke) und „runder Tisch“ (öffentlich) |
Freitag, 4. Juni | Tagung (2 thematische Blöcke) Ausflug (Leitung Armando Ruinelli) und öffentliche Lesung Valère Novarina / Pietro de Marchi / Texte von Flurin Spescha übersetzt und gelesen von Mario Frasa |
Samstag, 5. Juni | Abreise der Teilnehmenden |
Vorträge von 30 Minuten plus etwa 20 Minuten Diskussion
Thematische Blöcke aus den Bereichen: Soziolinguistik, Sprache und Politik und Recht, Literatur und Philosophie, Sprache und Bild, Übersetzung Arbeitssprachen: Italienisch, Deutsch, Französisch
Es ist eine Publikation der Akten vorgesehen.
Verantwortliche für die Tagung:
Prof. Dr. Marco Baschera vom Beirat „Garbald“, Titularprofessor für französische,
allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Zürich
Mario Frasa: Moderator und wissenschaftlicher Mitarbeiter vom Centro di dialettologia e di
etnografia in Bellinzona