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In seinen 1973 verfassten, allerdings erst postum veröffentlichten Variations sur l’écriture (2002) formuliert Roland Barthes den bedenkenswerten, in heuristischer wie systematischer Hinsicht folgenschweren Gedanken, dass das ›Schreiben‹ respektive die ›Schrift‹ (écriture) sachangemessen weder ›phono-graphisch‹ noch ›phono-logisch‹ zu beschreiben ist. Denn weder sei die ›Vernunft‹ (lógos) der Ursprung der Schrift noch die ›Sprache‹ (phoné) deren Fluchtpunkt. Die Schrift, erläutert Barthes, sei keine bloße Transkription der Rede und diene nicht in erster Linie der Kommunikation. Im Gegenteil: Weil sie »viele andere als nur kommunikative Funktionen« hat und »mit der Hand verbunden« (ebd., 69f) sei, verkörpere die Schrift eine »Praxis des Genusses« (ebd., 11), bei der »das Auge« und »die Hand« (ebd., 101) Regie führten.
Barthes’ kritischem Hinweis hat die Berliner Schriftbildlichkeitsforschung insofern Rechnung getragen, als sie eine Perspektive auf die Schrift einstellt, in der die Schrift mehr (und anderes) als nur die Funktion erfüllt, Sprache zu transkribieren. Für Barthes steht jedoch außer Zweifel, dass die haptisch-taktilen Dimensionen der Schrift für die Schrift wesentlich sind: Die Schrift, bilanziert Barthes, »geht durch die Hand« und »fällt an diese zurück« (Barthes, Variations, 171). Zwar sind der Schriftbildlichkeitsforschung die ›taktilen‹ Dimensionen der Schrift nicht entgangen. Was aber »Operativität« in der Konfrontation mit der irreduziblen materialen Eigensinnigkeit von graphischen Phänomenen wie Manuskripten, Drucktexten, Notationen, Diagrammen und dergleichen mehr tatsächlich konkret bedeuten soll, ist bislang nicht hinreichend geklärt worden.
Die geplante Tagung möchte daher Schreiben und Schrift nicht allein in kommunikativen und kognitiven Funktionen und nicht bloß unter diagrammatischen Gesichtspunkten als ›Kalkül‹ betrachten, sondern von einer materialorientierten Produktions- und Rezeptionsaisthetik her denken, in der sich die responsiven Wechselwirkungen von Schreib- und Schriftkörpern in einer Art und Weise durchdringen und überlagern, dass gängige Kategorien sowie vertraute Beschreibungs- und Unterscheidungsmodelle ihre heuristische Funktion einbüßen.